Stellungnahme der SPD-Kreistagsfraktion zum Klinikneubau Bretten

Veröffentlicht am 25.05.2012 in Kreistagsfraktion

Sehr geehrter Herr Landrat,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Besucher der heutigen Sitzung

Ich habe in den vergangenen Wochen und Tagen bei allen möglichen Anlässen und Gelegenheiten immer wieder betont: Dass im Wissen um eine Investition von rd. 50 Mio. € für den Neubau der Rechbergklinik Bretten und im Wissen um ein prognostiziertes jährliches Betriebsdefizit von rd. 2,7 Mio. € diskutiert wird, ja diskutiert werden muss, ist eine demokratische Selbstverständlichkeit. Nicht unbedingt normal ist aber, dass wenn ich alle Petitionen, Rundschreiben, Unterschriftslisten, Presseartikel, Leserbriefe und nicht zuletzt Gutachten der jüngeren Vergangenheit auf einmal die Treppen zu meinem Amtszimmer im Rathaus Gondelsheim hätte hochtragen wollen, ich mit einer „Inguinalhernie“, zu deutsch einem Leistenbruch wegen zu schweren Tragens in die Rechbergklinik Bretten eingeliefert worden wäre.

Ich verstehe uneingeschränkt die Sorge um die Klinik, aber ich halte die entstandene, im Mittelbereich Bretten aufgetretene Hysterie für schädlich. Denn die urplötzlich hochemotionale Stimmung verunsicherte bis zum heutigen Tag eine ganze Region, und sie lässt 400 Beschäftigte um ihren Arbeitsplatz bangen.

Und das u.E. grundlos. Zumindest die SPD-Fraktion – und nur für die kann ich hier sprechen - handelt nämlich nicht nach der Devise Adenauers: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“. Im Gegenteil! Als wir im Jahr 2008 aus medizinischer wie wirtschaftlicher Vernunft der „Regionalen Holding“ beigetreten sind, haben wir uns entschieden:
Gegen eine Privatisierung und für die Landkreisklinken in öffentlicher Trägerschaft. Für die Menschen und gegen eine ausschließlich wirtschaftliche Betrachtungsweise der Gesundheitsversorgung. „Ja“ zur Ethik, nein zur puren „Monetik“ gesagt! „Ja“ gesagt zur wohnortnahen medizinischen Grund- und Regelversorgung in Bruchsal und Bretten und „Nein“ zur Rosinenpickerei privater Krankenhausträger. Am 13. November 2008 „Nein“ gesagt zum „Weiter so“ im Eigenbetrieb und „Ja“ zum verantwortungsvollen gemeinsamen Handeln in der interregionale Holding.

Heute, 3 ½ Jahre später hat sich für unsere Fraktion an der am Wohl der Menschen in unserem Landkreis ausgerichteten Gesundheitspolitik nichts geändert. Wussten wir nicht schon 2008, dass in Bretten wegen der unbestrittenen baulichen Ab-gängigkeit, ja der maroden Substanz des 1965 eingeweihten Krankenhauses ein Neubau notwendig sein würde? Hatte uns die HWP Planungsgesellschaft nicht bereits damals einen Investitionsbedarf von round about 40-50 Mio. € für Bretten errechnet? Aber auch den beinahe gleich hohen Betrag für die Fürst-Stirum-Klinik?

Neu gegenüber 2008 sind nun zwei Gutachten von der Unternehmensberatung „Ernst & Young“ vom November 2011 und März 2012. Ein kleiner Exkurs sei erlaubt - nirgendwo wurde eine Krankenhaus-Sanierung oder ein Neubau auf derart breiter gut-achterlicher Grundlage gefällt wie bei uns. Hätte man doch beim Bau der „Neuen Messe“ nur die gleiche Sorgfalt walten lassen.

Aber nicht Gutachten entscheiden, sondern wir als gewählte Vertreter der Landkreisbewohner. Und zwar orientiert an den Be-langen der Menschen und dem perspektivischen Ziel, die medizinische Versorgung flächenhaft, qualitativ und dauerhaft sicher-zustellen!

Und was sagen uns die Struktur- und Ergänzungsgutachten? Waren sie überhaupt notwendig, wie mancher Leserbriefschreiber anzweifelte? Das Strukturgutachten belegt nachhaltig, dass das duale Finanzierungssystem der Krankenhäuser seine Aufgabe mehr schlecht als recht erfüllt. Während das Land Baden-Württemberg die Fördermittel für den Krankenhausbau leicht, aber noch nicht ausreichend erhöht hat, macht die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung „unsere Häuser krank“. Die Krankenkassen häufen mit Unterstützung aus Berlin 20 Milliarden Euro an, unseren Krankenhäusern dagegen werden nicht einmal die Tariferhöhungen der Bediensteten und Ärzte gegenfinanziert. Krankenkassen saniert, Krankenhäuser ruiniert! Das ist „Politik contra ländlicher Raum“, das ist Politik „gegen die Garanten der Gesundheitsversorgung im Landkreis Karlsruhe“.

Unser Traum von einer schwarzen Null im Betriebsergebnis durch die Zusammenarbeit mit der „Regionalen Klinikholding“ scheint endgültig geplatzt. Das liegt beileibe nicht an der hervorragenden Arbeit der Holding und der Klinikmitarbeiter, doch wir müssen erkennen, die Einsparmöglichkeiten lassen sich unter diesen politischen Rahmenbedingungen nicht beliebig steigern. Der Vergleich mit der Fabel vom „Hasen und Igel“ drängt sich auf. Im übertragenen Sinn rufen Kosten- und Tarifsteigerungen den mühsam erzielten Einsparungen an Krankenhäusern immer wieder zu: „Wir haben euch schon aufgefressen!“ 2,7 Mio. € als rechnerischer Mittelwert beträgt der prognostizierte jährliche Zuschuss zum operativen Geschäft in Bretten. Daran wird sich solange nichts ändern, solange der Bund nicht die Vergütungen an die tatsächlichen krankenhausspezifischen Kosten anpasst.
Wenn wir vor diesem von der Bundespolitik bewusst angestoßenen Verdrängungswettbewerb nicht kapitulieren wollen - und das will die SPD-Kreistagsfraktion nicht - dann werden wir einen beachtlichen strukturpolitischen Preis für eine gleichmäßig gute medizinische Versorgung der Landkreisbevölkerung zu bezahlen haben.

Dass die Gegner eines Neubaus in Bretten den Abmangel nicht mit Landkreisgeldern, sprich Steuergeldern der Menschen, die die Kliniken in der Mehrheit doch erhalten wissen wollen, finanzieren möchten, nehmen wir zur Kenntnis. Nur frage ich mich, wollen sie dann auch unsere vorbildlichen Berufsschulen oder den mustergültigen ÖPNV nicht mehr subventionieren? Wollen die Gegner eines Neubaus denn auch wieder die „Jagdsteuer“ einführen, für deren Aussetzung sich ein Redner hier im Kreistag vor zwei Jahren mit Verve einsetzte? Darüber könnte man mit uns Sozialdemokraten allerdings reden.

Und dann noch ein Wort zum Ergänzungsgutachten. Dieses Gutachten geht zwar davon aus, dass die Rechbergklinik versorgungstechnisch nicht unabdingbar notwendig sei. Aber es springt aus unserer Sicht in mehreren Punkten zu kurz:

Wir Sozialdemokraten wollen, dass nach dem Maßstab des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung alle Kreisbürger innerhalb einer 20-Minuten-Frist zu einer Klinik gelangen können. Diese Frist war bisher für 100% der Kreisbevölkerung gewähr-leistet. Bundesweit immerhin zu 97,5 Prozent. Die Aufgabe des Klinikstandortes in Bretten hätte gravierende Einschnitte zur Folge. Für einen Großteil der Einwohner im Mittelbereich Bretten, für bis zu 60.000 Menschen wäre ein Krankenhaus dann nicht mehr in einem Zeitraum von 20 Minuten erreichbar.

Wir als Sozialdemokraten erkennen für den Landkreis eine „innere solidarische Ausgleichspflicht“. Die heißt: Für alle Menschen im Landkreis Karlsruhe müssen flächendeckende, gleich gute medizinische Voraussetzungen gelten. Mit einer Entscheidung gegen den Neubau in Bretten würden wir diesen Grundsatz, diesen Konsens verlassen. Eine Spaltung des Landkreises in „Bürger erster und zweiter Klasse“ in Sachen medizinischer Grundversorgung wird es mit uns nicht geben.

Das will auch das Land Baden-Württemberg nicht, wie Herrn Landrat Dr. Schnaudigel eingangs bestätigte, und hat 2010 die Rechbergklinik Bretten erneut in die Landesbedarfsplanung notwendiger Kliniken aufgenommen. Im Übrigen Grundvoraussetzung für eine Investitionsförderung.

Eine Schließung hätte aber auch negative Auswirkungen auf die Notfallversorgung, den Notarztstandort Rechbergklinik und die Ärzteversorgung in unseren Gemeinden.

Wir Sozialdemokraten sehen den Neubau der Rechbergklinik neben den dargelegten medizinischen und versorgungstechnischen Aspekten, seiner Bedeutung für den ländlichen Raum und den Mittelbereich Bretten auch aus monetären Gründen für gerechtfertigt. Denn das Ergänzungsgutachten hat eine augenscheinliche Schwäche. Es wurde darin eben nicht berücksichtigt, dass eine Schließung Brettens die Verlagerung von Patientenströmen von rund 50% nach Bruchsal zur Folge hätte, was dort wiederum zu Raumbedarf führen würde. Dieser Raum, dieser Platz ist aber an Ort und Stelle nicht vorhanden! Wo wollen Sie bei den beengten Verhältnissen in Bruchsal anbauen? Und selbst wenn ein Trakt von 70 Betten, ein zusätzlicher OP-Bereich angebaut werden könnte, dann allenfalls zu vergleichbaren Kosten wie bei einem Neubau in Bretten. Um diese Konsequenz zu erkennen brauchen wir kein weiteres Gutachten, wenngleich sich „Ernst & Young“ sicherlich freuen würde.

Natürlich, Herr Dr. Wacker, ein zentrales Haus hätte auch Vorteile. Gar keine Frage. Man kann die Abläufe wirtschaftlicher machen. Als gewählter Kreisrat, nicht als Arzt der Fürst-Stirum-Klinik muss ich aber immer eine Kernfrage beantworten: Wenn ich ein Zentralkrankenhaus hätte, aber gleichzeitig immer weniger Fachärzte und niedergelassenen Ärzte für den ländlichen Raum finde, wie erhalte ich dann dort lebens- und liebenswerte Gemeinden? Als verantwortliche Kreisräte muss unser Blick über die stationäre Versorgung hinausgehen. Wie organisiere ich die ganze Palette der medizinischen Versorgung im Landkreis fragt sich z.B. unsere Gesundheitskonferenz. „Wohnortnah“ heißt mit Blick auf die demographische Entwicklung und den Ärzte-mangel deshalb die Antwort meiner Fraktion.

Und genau hier hilft das noch zweifelsfrei verbesserungsfähige Konzept einer Klinik mit zwei Standorten weiter. Das Klinikum des Landkreises Karlsruhe mit seinen zwei Geschwistern Bruchsal und Bretten. Nicht als Einzelkämpfer – nur gemeinsam sind wir stärker. Das muss ins Bewusstsein aller politischen wie ärztlichen Akteure rücken.

In diesem Sinne ist das erwartete 2,7 Mio. € Defizit der strukturpolitische Preis einer gleichmäßigen medizinisches Grundversorgung im Landkreis Karlsruhe. Und sollten sich die Parameter irgendwann einmal wieder ändern und evtl. in Bruchsal erneut - wie früher - ein Defizit anfallen, dann bitte keine Diskussion um die Schließung dieses Standortes. Nein, auch dann vielmehr daran denken: Wir haben ein Landkreisklinikum mit zwei Standbeinen!
Bei einem Standbein wurde und wird der Bestand nach der „Pflastermethode“ ständig saniert, beim anderen Standbein wurde darauf verzichtet, weshalb nun ein kompletter Neubau ansteht. Die SPD-Fraktion begrüßt die Überlegungen zum Neubau der Rechbergklinik. Für die nahe Zukunft fordern wir ein schlüssiges medizinisches Konzept für Bretten, das auch den demo-graphischen Veränderungen der Altersstruktur gerecht wird, das lebensrettende Strukturen gerade bei Schlaganfall und Herz-problemen bereit hält und das vor allem mit dem Schwesterhaus Bruchsal in seiner Angebotspalette perfekt abgestimmt sein muss. Zudem erwarten wir durch kluges Handeln eine Reduzierung des prognostizierten Betriebsdefizits. Auf beiden Feldern ist für uns die Geschäftsführung der Holding gefordert.

Und wer A sagt muss auch B sagen! Zustimmung unserseits auch für die Erhöhung der Obergrenze für den jährlichen Kapitaldienst ab 2013 von 2,9 auf 4,25 Mio. €.

Bleiben abschließend drei Wünsche:

1. Dass uns das Land BW mit einem hohen Prozentsatz fördert.
2. Dass sich die Stadt Bretten als Standortgemeinde angemessen einbringt, denn wenn ich ein Krankenhaus habe, strahlt es natürlich auch insgesamt positiv auf die städtische Infrastruktur aus.
3. Und, dass der von Ministerpräsident Wilfried Kretschmann auf der Landkreisversammlung Mitte März in Sigmaringen ausgesprochene Satz „Keine Krankenhäuser erhalten, für die Leute demonstrieren, die sich nicht darin operieren lassen“ für die Rechbergklinik Bretten und die Fürst-Stirumklinik Bruchsal Makulatur ist. Und jetzt bin ich wieder am Anfang meiner Aus-führungen: Bei all den Petitionen, Rundschreiben, Unterschriftslisten, Presseartikeln, Leserbriefen der letzten Wochen und der heutigen Besucherzahl bin ich dafür auch ohne „Fangprämie“ guten Mutes!

 

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